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Stadtderby: Wie Manchester United von City lernen will

3. März 2024 | Spotlight | BY David Schöngarth

Am Sonntag steht wieder das traditionsreiche Manchester Derby an, wenn der amtierende Meister City den Rekordmeister Manchester United empfängt. Die Red Devils stehen vor einem sportlichen Neuanfang, für den ausgerechnet der Stadtrivale das Vorbild sein könnte. Aber wird United schon im Hier und Jetzt zum Stolperstein für die Cityzens?

Derby: Lange Zeit eine klare Sache für Manchester United

Das Manchester Derby zählt zu den traditionsreichsten Duellen im Weltfußball. 1881 trafen beide Mannschaften, damals noch unter anderen Namen, das erste Mal aufeinander. St. Marks gegen Newton Heath Football Club. Himmelblau gegen Rot. Oder auch protestantische Mancunians gegen irische katholische Einwanderer. Aus diesen Gegensätzen entwickelte sich eine der härtesten Rivalitäten des Fußballs, die lange Zeit von einer Mannschaft dominiert wurde. Mit Ausnahme kurzer Erfolgsperioden Citys in den 50er- und 60er-Jahren war nämlich Manchester United Jahrzehnte lang nicht nur das Maß aller Dinge in der eigenen Stadt, sondern in ganz England.



In bislang 191 Aufeinandertreffen beider Mannschaften gewann United 78-mal, City ging 60-mal als Sieger vom Feld. Die Dominanz Citys in den letzten Jahren täuscht dabei in der Statistik darüber hinweg, dass die zwischenzeitlich in die zweite Liga abgestürzten Cityzens teilweise Jahrzehnte nicht gegen den schier übermächtigen Lokalrivalen gewinnen konnten. In den gesamten 1980er-Jahren gelangen City zwei Siege gegen United, in den 90er-Jahren kein einziger. Seitdem ist im englischen Fußball viel geschehen, an Emotion und Prestige hat das Manchester Derby nie verloren. „Am Tag des Derbys ist Manchester in zwei Hälften geteilt. Blau und Rot erobern die Straßen. Und wenn deine Mannschaft gewinnt, gehört dir die Stadt“, so einst Uniteds Eric Cantona über das Derby. Am Sonntagnachmittag ist es wieder soweit, wenn Manchester City Manchester United zum zweiten Derby der Saison im Etihad Stadium empfängt. Das erste Duell der beiden ewigen Rivalen im Oktober hatte City eindrucksvoll auf gegnerischem Territorium mit 0:3 für sich entschieden.

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Machtwechsel im Norden Englands

Dabei sind solch deutlichen Ergebnisse im Manchester Derby in den letzten Jahren eigentlich gar keine so große Seltenheit geworden. Denn die Machtverhältnisse am River Irwell haben sich mit dem Erstarken von Manchester City, ermöglicht durch die Übernahme des Vereins durch die abu-dhabische City Football Group, verschoben. Während United unter Sir Alex Ferguson in den 90er- und frühen 2000er-Jahren die Premier-League-Trophäe quasi abonniert hatte, liegt der letzte Titel der Red Devils in der Premier League nun schon elf Jahre zurück – in der letzten Spielzeit eben jenes Sir Alex Ferguson. Seitdem konnten die Skyblues die Trophäe sechsmal in die Höhe recken, zuletzt dreimal in Folge. Hinzu kommen Erfolge im FA Cup und League Cup und, allen voran, in der Champions League, die City im vergangenen Jahr nach vielen gescheiterten Anläufen gewann.

Yaya Toure und Paul Scholes kämpfen im Manchester Derby um den Ball.

Lange Zeit war Manchester United das Maß aller Dinge im englischen Fußball. Doch die Machtverhältnisse haben sich verschoben. (Photo by ANDREW YATES/AFP via Getty Images)

Glanz, Historie und Ethos mögen daher vielleicht bei den Red Devils liegen, an der sportlichen Realität geht trotzdem kein Weg vorbei: Manchester City ist dem Stadtrivalen enteilt, was sich zum Teil auch im Derby widerspiegelt. Unvergessen bleibt Citys 1:6-Erfolg im Old Trafford 2011 – rückblickend ein Vorbote der Wachablösung in Manchester. Im März 2014 wiederholte City die Heldentat und schlug United vor eigenem Publikum auf dem Weg zum vierten Liga-Titel mit 0:3. Und in der vergangenen Saison zerlegten die Himmelblauen United zuhause mit 6:3.

Neues Kapitel unter Ratcliffe: Wie Manchester United von City lernen will

Kurzum: Die Rollen in Manchester sind eigentlich klar verteilt. Ein sportlicher Neuanfang bei den taumelnden Red Devils könnte den einstigen Giganten jedoch wieder in die Spur bringen – und damit auch der Rivalität des Manchester Derby neues Leben einhauchen. Sir Jim Ratcliffe, der seit kurzem knapp ein Viertel der Anteile an United hält und damit die Leitung der sportlichen Geschicke von den Glazers übernommen hat, hegt ambitionierte Pläne. Das Vorbild könnte ausgerechnet der Stadtrivale sein. Genau wie die City Football Group ist auch Ratcliffe von dem sogenannten „Multi-Club Model“ überzeugt, wie er in einem Interview mit der BBC verriet. Der britische Unternehmer kontrolliert bereits OGC Nice in der französischen Ligue 1, den schweizer FC Lausanne und Racing Club Abidjan aus der Elfenbeinküste.

Ob und inwiefern in Zukunft Manchester United von diesem europäischen Netz an Vereinen profitieren kann, ist noch unklar. Zumal sich unter den anderen Vereinen der Liga auch Widerstand gegen das von City groß gemachte Modell bildet. Im vergangenen Herbst versuchten einige Mannschaften, Leihen zwischen Vereinen mit der gleichen Besitzerstruktur zu verhindern – ohne Erfolg.

Sir Jim Ratcliffe: Der neue Miteigentümer von Manchester United.

Hat große Pläne für Manchester United: Sir Jim Ratcliffe. (Photo by BERTRAND GUAY/AFP via Getty Images)

Doch auch in anderer Hinsicht scheint sich Ratcliffe City zum Vorbild gemacht zu haben. Das erklärt zumindest die strategische Personalpolitik des neuen Miteigentümers der Red Devils, für den der sportliche Erfolg das „Herzstück“ jeder Entscheidung sein soll. Mit der Verpflichtung von Omar Berrada ist United dabei ein echter Coup gelungen. Der ehemalige Chief Operating Officer (COO) von Manchester City, der gemeinsam mit Sportdirektor Txiki Begiristain vor allem das Transfergeschäft beim amtierenden englischen Meister im Blick hatte, wird ab Sommer der neue Geschäftsführer der Red Devils – und soll mit seiner Erfahrung den kolosssalen Umbruch bei United leiten. Informationen von The Athletic zufolge sollen neben dem nach wie vor mit United verbundenen Prestige vor allem die Gespräche mit Ratcliffe und INEOS Berrada überzeugt haben, die Komfortzone Manchester City für den Stadtrivalen zu verlassen.

An Berradas Seite wollen die Red Devils Jason Wilcox als Technischen Direktor installieren. Der derzeitige Sportdirektor von Southhampton blickt auf mehrere Jahre City-Erfahrung zurück, wo er vor allem als Koordinator im Nachwuchsbereich tätig war. Dan Ashworth, bis vor kurzem noch der Kopf hinter Newcastles Aufschwung der letzten Jahre, soll dieses starke Trio ab dem Sommer komplettieren. Das Ziel ist klar: Manchester United soll wieder zur Nummer Eins werden – nicht nur in der eigenen Stadt, sondern auch national und international. Ratcliffes erste, ambitionierte Schachzüge deuten an, wer das Vorbild des neuen Miteigentümers der Red Devils ist.

Manchester United: Stolperstein für City im Hier und Jetzt?

So beeindrucked Ratcliffes erste Coups auch sein mögen, noch handelt es sich bei den Plänen für Manchester United um Zukunftsmusik. Die derzeitige sportliche Realität ist durchwachsen. Nach einer vielversprechenden ersten Saison unter Erik ten Hag hinkt United derzeit den eigenen Ansprüchen hinterher – die Qualifikation zur Champions League, aus der United in der laufenden Spielzeit sang- und klanglos ausschied, ist ernsthaft in Gefahr. Hinzu kommen Verletzungssorgen und Nebenschauplätze wie die Fehde zwischen ten Hag und dem 85 Millionen Euro schweren Jadon Sancho (23), die in der Hinrunde einen Keil in die Kabine von United trieb.

Trotzdem will United Im Hier und Jetzt ein Stolperstein für die Skyblues sein, die mit Liverpool und Arsenal um den Titel kämpfen. Und die Red Devils haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sie trotz der klaren Machtverhältnisse in der Rivalität immer wieder für eine Überraschung im Derby gut sind. So besiegte United City im Januar 2023 2:1 und warf das Team von Pep Guardiola damit in der Verfolgungsjagd auf Arsenal zurück.

Rasmus Hojlund ist in bestechender Form.

Rasmus Højlund ist in bestechender Form. (Photo by DARREN STAPLES/AFP via Getty Images)

Auch am Sonntag kann United indirekt ins Titelrennen eingreifen – bei einem Punktverlust von Manchester City hat Arsenal die Chance, vorbeizuziehen. Die Formkurve bei den Red Devils zeigte in den letzten Wochen nach vier Siegen in Serie eigentlich nach oben, ehe eine Last-Minute-Niederlage gegen Fulham am vergangenen Spieltag den Optimismus wieder zunichte machte. Auch die Tatsache, dass das Derby für den vor seiner Verletzung so formstarken Rasmus Højlund (21) wahrscheinlich noch zu früh kommt, schwächt die Karten von Erik ten Hag.

Die City-Maschinerie läuft hingegen auf Hochtouren. Die Mannschaft von Pep Guardiola gewann 14 ihrer letzten 15 Spiele und gegen United kann der Spanier mit Blick auf den Kader auch fast aus dem Vollen schöpfen. Es deutet vieles darauf hin, dass Manchester am Sonntag erneut himmelblau sein wird. Aber Derbys haben bekanntlich ihre eigenen Gesetze.

(Photo by Michael Regan/Getty Images)

David Schöngarth

Aufgewachsen mit Grafite, Luca Toni und Co. entfachten Gareth Bale und Mauricio Pochettinos Spurs in David eine Leidenschaft für die Premier League. Interessiert sich für alles, was auf der Insel vor sich geht. Seit 2022 bei 90Plus.


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