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Premier League: Ein Spiel aus einer anderen Saison und Meistermentalität 2.0

7. März 2023 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Fünf Awards zum 26. Spieltag der Premier League | Wieso Liverpool gegen Manchester United nicht zu dieser Saison passt, eine beeindruckende Meistermentalität und Möwenphobie bei West Ham? 

„Ein Spiel aus einer anderen Saison“-Award: FC Liverpool vs. Manchester United

Nein, als wortkarg kann man Jürgen Klopp sicherlich nicht bezeichnen. Wenige Minuten, nachdem sein FC Liverpool Manchester United mit 7:0 vom Platz gefegt hatte, wirkte aber auch der deutsche Trainer etwas sprachlos. „Es war wie ein Spiel aus einer anderen Saison“, gestand er gegenüber der BBC und griff sich an die Schirmmütze. „Das passt nicht so wirklich in diese Saison“.



Zu oft schlichen die Reds in dieser Spielzeit über den Platz – zahnlos im Angriff, beinahe leblos in der Defensivarbeit. Der Absturz in das Mittelfeld der Premier League war die Folge. Am Sonntag gegen den Erzrivalen aus Manchester aber demonstrierten sie endlich wieder die Eigenschaften, die den FC Liverpool in den letzten Jahren zu einer der besten Mannschaften der Welt machte: Unglaubliche Intensität, rasanter Umschaltfußball und eiskalte Effizienz vor dem Tor. Das galt vor allem für Darwin Nunez, Cody Gakpo und Mohamed Salah im Angriff. Sie wirbelten, sie trafen – jeweils zweimal. Fab three 2.0? Ganz nebenbei wurde Salah zum besten Premier-League-Torschützen der Vereinsgeschichte (129 Treffer).

Und was war mit dem Gegner? Auch für Manchester United wirkte das Spiel wie aus einer anderen Zeit. Das hässliche Gesicht der Red Devils aus den ersten zwei Spielen (Null Punkte, 1:6 Tore und keine Gegenwehr), es war zurück. War das Team von Erik Ten Hag in den ersten 45 Minuten noch mindestens ebenbürtig, so folgte zum Seitenwechsel eine unglaubliche Implosion auf allen Ebenen. Die Defensive um den hoffnungslos überforderten Lisandro Martinez glich einem Hühnerhaufen. Schlimmer noch: die Spieler ließen die Köpfe hängen und ergaben sich. Exemplarisch: Bruno Fernandes verweigerte nach dem 0:3 endgültig die Defensivarbeit, winkte häufiger angewidert ab als er in Zweikämpfe ging. Unverzeihlich für einen Kapitän. Ten Hag bezeichnete den Auftritt seiner Mannschaft als „unprofessionell“, „undiszipliniert“ und „inakzeptabel“.

Ja, das 7:0 war wie aus einer anderen Zeit, so ausgewechselt wirkten beide Teams im Vergleich zu vor einigen Monaten. Und ja, das 7:0 war historisch. Es war der höchste Sieg des FC Liverpool über den Erzrivalen und zugleich Manchester Uniteds heftigste Pleite seit 1931. Vor allem aber hat das 7:0 das Potential, für beide Klubs den kompletten Saisonverlauf auf den Kopf zu stellen. Beflügelnd für die einen, lähmend für die anderen. Insbesondere bei den Red Devils bleibt abzuwarten, welche Reaktion sie zeigen werden. Die sieben Punkte Vorsprung auf das fünftplatzierte Liverpool wirken plötzlich fragil.

 

„Philomenal“-Award: Phil Foden

Da sind sie wieder. Die unnatürlich wendigen Körpertäuschungen, die elektrischen Tempodribblings und die unnachahmlichen Streicheleinheiten des Spielgeräts. Nach einigen wechselhaften Monaten versprüht Phil Foden derzeit wieder die Spielfreude und Klasse, die ihn zu einen der größten Offensivtalente Europas gemacht hat.

Beim wichtigen 2:0-Heimsieg Manchester Citys über Newcastle United war der 22-jährige Engländer der Spieler des Spiels. In der 15. Minute setzte er am rechten Strafraumeck zum Solo, ließ mit der Balance eines Hochseilakrobaten vier (körperlich überlegende) Verteidiger stehen und netzte mit seinem schwachen rechten Fuß zum 1:0 ein. Auch gegen eine der besten Defensiven der Premier League war er der Dosenöffner.

Für Foden war es das vierte Tor in den letzten drei Spielen und die 50. Torbeteiligung. Mit 22 Jahren und 280 Tagen ist er der jüngste Spieler in der Geschichte der Cityzens, der diese Marke erreicht.

„Meistermentalität 2.0“-Award: FC Arsenal

Erst vor zwei Wochen erhielt der FC Arsenal an dieser Stelle den „Meistermentalität“-Award. Nur drei Tage, nachdem die Gunners das direkte Duell mit ManCity verloren hatten, drehten sie im schweren Auswärtsspiel bei Aston Villa zwei Rückstände. Am Samstag gegen Bournemouth erreichte die Meistermentalität die nächste Stufe.

Bereits beim Anpfiff war der Druck für das zweitjüngste Team der Premier League hoch – Manchester City hatte den Rückstand auf den Tabellenführer auf zwei Punkte verkürzt. Er stieg immer weiter: Schon nach zehn Sekunden, als Arsenal das schnellste Tor der Saison kassierte. Und schließlich nochmal nach 57 Minuten, als Bournemouth trotz 20 Prozent Ballbesitz auf 2:0 erhöhte. Arsenal musste gegen einen Zehn-Mann-Abwehrblock gleich dreimal ein Durchkommen finden – und das ohne die ersten drei nominellen Stürmer (nach Gabriel Jesus und Eddie Nketiah verletzte sich auch Leandro Trossard).

Dieses Mal würden die Gunners sicherlich Federn lassen…oder? Denkste! Denn was in den nächsten 40 Minuten folgte, war exemplarisch dafür, was Arsenal bereits die gesamte Saison ausstrahlt: Die wiederverliebten Fans, die das Team unermüdlich nach vorne peitschten. Die Spieler, die zwar euphorisiert aber geduldig und kontrolliert Artetas Matchplan umsetzen. Und die ungeahnten Helden, die hervortreten, wenn es Bukayo Saka oder Martin Ödegaard ausnahmsweise nicht tun, um die Bemühungen zu vergolden.

Am Samstag wurde diese Ehre Reiss Nelson zu teil. Beim Stand von 1:2 kam der 23-Jährige in der 69. Minute zu seinem erst dritten Saisoneinsatz. Eine Minute später legte er das 2:2 auf. Hoffnung. Die nächsten 27 Minuten vergingen wie im Flug, die letzten Sekunden wie in Zeitlupe. Ein letzter Eckball in der siebten Minute (!) der Nachspielzeit. Bournemouth klärt kurz vor den Strafraum. Nelson stoppt mit der Brust, legt den Ball vor und hämmert ihn aus 16 Metern mit seinem schwachen linken Fuß ins lange Eck. Ekstase.

Den FC Arsenal zeichnen diese Saison vor allem zwei Dinge aus: eine unglaubliche Resilienz und kollektive Überzeugung. Von den Rängen bis zur Ersatzbank. Erstmals seit 2012 wurde ein Zwei-Tore-Defizit in einen Sieg verwandelt. Kein Team der Premier League hat mehr verschiedene Torschützen vorzuweisen und mehr Punkte nach Rückständen geholt (15).

Wer weiß, ob der jüngere und deutlich dünnere Kader der Gunners den Fünf-Punkte-Vorsprung gegenüber den übermächtigen Cityzens ins Ziel fahren kann? Eines steht jedenfalls fest: Egal was passiert, sie werden bis zur letzten Sekunde glauben. An den ersten Meistertitel seit 2004 und vor allem an sich selbst.

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„Dann muss es eben ein Verteidiger richten“-Award: Wesley Fofana

Über die Ergebniskrise des FC Chelsea sprachen wir an dieser Stelle bereits letzte Woche. Eines ging dabei unter. So enttäuschend die ersten Monate der Ära Graham Potter auch waren, sie hätten trotzdem zu mehr Punkten führen müssen als nur 24 in 19 Spielen. Warum, war auch am Samstag gegen Leeds United zu sehen.

Die Blues drückten auf das Tor, hätten nach der ersten halben Stunde mit 3:0 führen müssen, doch Kai Havertz, Joao Felix und Ben Chilwell verpassten allesamt Top-Chancen. Potter kennt das Problem bestens, seit er an der Stamford Bridge das Sagen hat, hat kein Team der Premier League seinen expected-Goals-Wert weiter unterboten als Chelsea: aus 24,61 xG resultierten lediglich 16 Treffer – nur vier Teams haben weniger.

Dem FC Chelsea fehlt ein Stürmer, ein Vollstrecker. Und so musste am Samstag ein Verteidiger in die Bresche springen. Wortwörtlich. Wesley Fofana sprang in der 53. Minute nach einem Eckball am höchsten und nickte zum 1:0-Endstand ein. Für die Blues war es der erste Treffer seit dem 11. Februar und der erst zweite Pflichtspielsieg des Kalenderjahres.

„Möwenphobie“-Award: West Ham United

Zugegeben, ich habe keine Ahnung, ob es so etwas wie eine Phobie vor Möwen gibt. Wenn ja, dann hat sie West Ham United. Denn die Seagulls von Brighton and Hove Albion bleiben der absolute Angstgegner der Hammers.

Gerade als das Team von David Moyes auf dem Weg war, sich mit nur einer Niederlage aus den letzten fünf Spielen von den Abstiegsrängen zu befreien, folgte eine – in Sachen Resultat und Vorstellung – katastrophale 0:4-Niederlage gegen Brighton.

West Ham ist nun in zwölf direkten Duellen mit Brighton ohne Sieg (sechs Niederlagen, sechs Remis). Gegen kein Team haben die Londoner in der Premier League öfter gespielt, ohne einen Sieg einzufahren. Der Druck auf Moyes nimmt somit wieder zu.

(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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