Tottenham vs. Arsenal: Siegt Theorie oder Derby-Praxis?

15. Januar 2023 | News | BY 90PLUS Redaktion

Am Sonntag treffen im Norden Londons die Tottenham Hotspur im heimischen Stadion auf den ewigen Rivalen, den FC Arsenal. Anpfiff des 193. North London Derby ist um 17:30 Uhr deutscher Zeit.

Während Arsenal mit fünf Punkten Vorsprung auf Meister Manchester City von der Tabellenspitze grüßt, sind die Spurs zum Ende des vergangenen Jahres nach einer Niederlage gegen Aston Villa aus den Champions-League-Plätzen gerutscht und drohen nun den Anschluss an die Top-Four zu verlieren. Wieso die Gunners als Favorit in das North London Derby gehen und warum das womöglich irrelevant ist. 



Was macht Arsenal aktuell so stark?

Die Leistungen des FC Arsenal lassen sich in dieser Saison vor allem mit dem Begriff „Konstanz“ zusammenfassen – nicht umsonst sind sie ein wahrer Titelkandidat. Ganz anders als letztes Jahr, als ein ständiges Auf und Ab den Saisonverlauf prägte. Damals verspielte eine junge, unerfahrene und unvollständige Mannschaft auf den letzten Metern die Champions League – zur Freude des ungeliebten Nachbarn Tottenham. Seitdem aber sind die Gunners jedoch gereift. Das 0:0 gegen Newcastle vergangenen Spieltag war das elfte Spiel ohne Niederlage in Folge. Einzig Manchester United konnte die Mannschaft von Erfolgstrainer Mikel Arteta 2022/2023 bezwingen.

Als der Spanier das Ruder im Dezember 2019 übernahm, drohte der Glanz, den der legendäre Arsene Wenger einst im roten Teil Nordlondons versprühte, endgültig zu verblassen. Doch Arteta erhielt die Zeit und die Mittel, ein junges und spielstarkes Team zu formen, das derzeit nur so vor Spielwitz und Siegermentalität strotzt. Die Offensive kann sowohl über flüssige Kombinationen als auch anspruchsvolle Einzelaktionen Spiele entscheiden. Die Flügelspieler Bukayo Saka und Martinelli können mit ihren Dribblings auch eng gestaffelte Abwehrreihen durchbrechen. In Kombination mit Kaptiän und Spielmacher Martin Ödegaard, jüngst aufgrund seiner herausragenden Leistungen zum Spieler des Monats gewählt, ist der Angriff unvorhersehbar und facettenreich. Selbst der vermeintlich unersetzbare Gabriel Jesus (Knieverletzung) im Sturm konnte – vor allem in Sachen Output – von Eddie Nketiah (vier Tore in vier Spielen) adäquat vertreten werden.

Neben der Konstanz ist Ausgewogenheit ein weiteres Merkmal für den Höhenflug des FC Arsenal. Man stellt nach Manchester City nicht nur die zweitbeste Offensive der Premier League, sondern auch die zweitbeste Defensive. Nur Newcastle kassierte weniger Treffer. Die Innenverteidiger Gabriel und William Saliba sind zwar jung, aber ausgesprochen athletisch und spielstark.

Am beachtlichsten ist jedoch, wie eine der jüngsten Mannschaften der Premier League derzeit Spiele kontrolliert. Hier kommt das Prunkstück der Gunners ins Spiel: das Mittelfeld. Denn bevor Ödegaard und Co. zaubern können, müssen sie erstmal den Ball erhalten. Verantwortlich sind die spielintelligenten und passsicheren Taktgeber Granit Xhaka und vor allem Thomas Partey, der gepaart mit seiner Pressingresistenz derzeit wohl einer der besten zentralen Mittelfeldspieler der Welt ist.

Arsenal-Mittelfeldspieler Thomas Partey, hier im Duell mit Newcastles Joe Willock, wird auch gegen Tottenham eine große Rolle spielen.

(Photo by Justin Setterfield/Getty Images)

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Tottenham: Stotterstart nach der WM und Abhängigkeit von Kane

Brentford, Aston Villa und Crystal Palace waren die ersten drei Gegner für die Tottenham Hotspur nach der Weltmeisterschaft. Die Bilanz: vier Punkte, 4:4 Tore – zu wenig für einen klaren Anwärter auf die Top-Four. Erst recht für einen Geheimtipp auf den Titel. Dementsprechend rutschte die Mannschaft von Antonio Conte zum ersten Mal in dieser Saison aus den Top-Four – der Rückstand beträgt nun zwei Punkte. Unter der Woche mühte man sich im FA Cup trotz absoluter Überlegenheit zu einem 1:0-Sieg über den 13. der drittklassigen League One, den FC Portsmouth.

Doch was sind die Probleme der Spurs? Während es ganz Conte-typisch bereits einiges an Unruhe abseits des Platzes hab, hätten wir da ganz untypisch für ein Team des Italieners die Defensive: In 18 Spielen kassierte der Tabellenfünfte 25 Gegentore. Immer wieder kommt es durch individuelle Aussetzer oder Abstimmungsprobleme zu Rückständen. Teilweise konnte der Angriff dieses Defizit noch kompensieren. Mit 37 Treffern hat die Offensive um Talisman Harry Kane nach Manchester City und dem FC Arsenal die drittbeste Ausbeute der Premier League. Dabei spielt die Effizienz eine große Rolle. Mit einem xG-Wert von 27,2 und einer positiven Abweichung von 9,8 Toren gehört die Mannschaft zu den größten Überperformern in dieser Statistik. Das bedeutet, dass das Team deutlich mehr Tore erzielt, als gemessen an ihren Chancen zu erwarten wäre. Diese Kaltschnäuzigkeit ist ein absolutes Plus im Kampf um die Champions League, aber gleichzeitig darf an der Nachhaltigkeit dieser Spielweise gezweifelt werden.

Aktuell ist Tottenham nämlich sehr von Kanes Abschlussqualitäten abhängig. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft ist derzeit in absoluter Top-Form und konnte in der Liga bereits 15-mal treffen. Kein Spieler hat im North London Derby häufiger getroffen als er (15). Doch dahinter wird es eng. Heung-min Son, der letztes Jahr zusammen mit Mohamed Salah Torschützenkönig in der Premier League wurde, läuft dagegen seiner Form hinterher (vier Tore). Neuzugang Richarlison wurde für solche Fälle im Sommer verpflichtet, verletzte sich aber bei der Weltmeisterschaft und wird noch ausfallen. Dejan Kulusevski lässt immer wieder sein großes Potential aufblitzen, hat aber mit nickligen Verletzungen und Formschwankungen zu kämpfen.

Tottenhams Harry Kane: Gegen Arsenal trifft er besonders gerne.

(Photo by Julian Finney/Getty Images)

Coolness wird ein Thema sein – ein offensives Spektakel ist möglich

Nachdem die Gunners das Hinspiel im Oktober verdient mit 3:1 für sich entschieden, sind auch im Rückspiel die Argumente bei Rot. Bei Derbys können Faktoren wie Qualität und Form erfahrungsgemäß allerdings schnell in den Hintergrund geraten. Erst recht in diesem. Stattdessen spielen Intensität und Emotionen eine weitaus größere Rolle als es manch einem Akteur lieb sein könnte.

Das zeigt ein Blick auf die letzten Duelle zwischen Tottenham und Arsenal. Alleine in den letzten fünf Spielen gab es drei Platzverweise. Ein Pluspunkt für die Spurs, die mit einem Durchschnittsalter von 28,4 Jahren den drittältesten Kader der Liga stellen? Immerhin waren übermotivierte Tacklings und Aussetzer in den letzten Jahren ein Schwachpunkt der jungen Gunners – doch auch in diesem Bereich scheinen Artetas Schützlinge gereift zu sein. Diese Saison gab es noch keinen Platzverweis, Tottenham hat bereits zwei.

Emotionen müssen aber nicht zwangsläufig zu Platzverweisen führen. Die Energie, die bei den North London Derbys selbst vor dem TV zu spüren ist, hat die unvorhersehbare Magie, zur Vernachlässigung taktischer Vorgaben und Fehlern zu führen – auf beiden Seiten. Das könnte zu vielen Chancen und damit einem weiteren torreichen North London Derby führen (Torschnitt 2,91 pro Partie). Vielleicht sogar zu einem chaotischen. Genau hier könnte die Chance der Spurs liegen, die in Sachen Finesse zwar das Nachsehen haben aber deutlich physischer sind als die Gunners.

Tottenham vs Arsenal: Personal und Prognose

Erschwert wird die Aufgabe für Tottenham bei dieser Ausgabe des Traditionsduells durch die drohenden Ausfälle von Richarlison, Lucas Moura und Taktgeber Rodrigo Bentancur. Dafür dürfte immerhin Yvey Bissouma rechtzeitig fit werden, er dürfte in Bentacurs Abwesenheit mit Pierre-Emile Hojbjerg die Schaltzentrale bilden. Kulusevski konnte unter der Woche wieder das Training aufnehmen und wird ebenfalls zurück erwartet.

Die Gunners dagegen müssen neben Jesus einzig auf Reiss Nelson verzichten. Emile Smith Rowe gab beim 3:0-Auswärtssieg gegen Oxford United im FA Cup vergangenen Montag nach monatelanger Pause sein Comeback und ist ein Kandidat für die Bank. Saka humpelte in derselben Partie zwar vom Platz, nach dem Spiel gab Arteta jedoch Entwarnung.

Mögliche Aufstellungen

Tottenham: Lloris – Romero, Dier, Lenglet – Doherty, Bissouma, Hojbjerg, Perisic – Kulusevski, Kane, Son

Arsenal: Ramsdale – White, Saliba, Gabriel, Zinchenko – Xhaka, Partey – Saka, Odegaard, Martinelli – Nketiah

Prognose

Arsenal geht aufgrund von Form und individueller Qualität auch auswärts als Favorit in die Partie. Doch wie gesagt: Es bleibt abzuwarten, ob Theorie und Formstärke in der hitzigen Atmosphäre des North London Derbys überhaupt eine Rolle spiele werden. 

Autor: Jannek Ringen


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