Tottenham vor dem Saisonstart: „Ange-ball“ reloaded, Detailarbeit und neue Herausforderungen
13. August 2024 |
Spotlight | BY Manuel Behlert
Tottenhams Saison 2023/24 kam einer mittelgroßen Revolution gleich. Ange Postecoglou, damals als neuer Cheftrainer installiert, sorgte mit einem völlig neuen Ansatz für neuen Schwung bei den Spurs. Die erste Saison unter dem Australier verlief positiv, jetzt soll der nächste Schritt in der Entwicklung her.
Dabei warten neue Herausforderungen auf das Team und den Trainer. Der Spielstil ist mittlerweile bekannt, die Belastung wird höher. Die Spurs müssen sich nicht neu erfinden, aber dem „Ange-ball“ neue Elemente hinzufügen. Ein Selbstläufer wird das allerdings nicht.
Tottenham: Die gute Basis als Grundlage
Rückblick, Sommer 2023: Wenige Monate nach der Trennung von Antonio Conte wird Ange Postecoglou neuer Trainer bei den Tottenham Hotspur. Von den vorherigen Trainerstationen, nämlich Celtic, Yokohama und Australien, durfte man sich damals nicht täuschen lassen. Denn der Australier verfolgt einen klaren Plan, bringt mit seinen Teams einen Stil mit Wiedererkennungswert auf den Platz, steht für klare Prinzipien. Genau das war es, was die Spurs suchten. Jemanden, der Dinge bewegt und dabei bis zu einem gewissen Maße kompromisslos ist.
Der Plan der Tottenham-Verantwortlichen: Eine neue Ära sollte eingeläutet werden. Ein Jahr später kann man gewiss noch nicht von einer solchen sprechen, aber ein positives Fazit nach dem ersten Jahr lässt sich definitiv ziehen. Denn der neue, sehr intensive Ansatz war schnell auf dem Spielfeld zu sehen. Schließlich wurden acht der ersten zehn Spiele gewonnen, kein einziges verloren. Danach wurden die Ergebnisse in einigen Phasen durchwachsener, die Gegner stellten sich auf Tottenham ein. Es war aber nicht nur dieser Punkt, denn die recht junge, neu zusammengestellte Mannschaft produzierte mehr Fehler als zu Beginn, hatte darüber hinaus auch noch weniger Spielglück.
Ohne jeden Zweifel haben sich die Spurs in der ersten Postecoglou-Saison eine gute Basis erarbeitet. Das sorgte auch dafür, dass auf dem Transfermarkt bisher nicht allzu viel los war. Der größere Umbruch wurde 2023 vollzogen, untätig blieb Tottenham aber auch nicht. Dominic Solanke, der aus Bournemouth kam, soll eine Art Königstransfer werden. Für die Kaderbreite wurde Timo Werner erneut ausgeliehen, die jungen Mittelfeldspieler Lucas Bergvall und Archie Gray sollen einerseits Perspektivspieler sein, gleichzeitig schon jetzt für frische Impulse sorgen, was sie in der Vorbereitung bereits andeuteten.
Der Teufel steckt im Detail
Apropos Vorbereitung: Diese war bei Tottenham durchaus aufschlussreich. Gleich zweimal testete die Postecoglou-Elf gegen den FC Bayern, einmal in Südkorea, einmal im heimischen Stadion. Beide Spiele wurden verloren, in beiden Spielen war der Gegner besser und hatte mehr Chancen. Trotzdem war nicht alles schlecht: Ansätze des postecoglouesken Spielstils waren erkennbar, die Intensität in einigen Phasen sehr gut. Das Pressing war allerdings ausbaufähig, wurde häufig leicht überspielt. Zudem zeigten sich beim Aufbau unter Druck einige Unzulänglichkeiten, der deutsche Rekordmeister gewann viele Bälle sehr hoch, kam dadurch häufig zum Abschluss.
(Photo by Warren Little/Getty Images)
Dass es in einigen Teilbereichen noch Nachholbedarf gibt, erkennt auch Jack Pitt-Brooke, der für The Athletic über Tottenham berichtet: „Sie müssen sich besser gegen Konterangriffe absichern. Das bedeutet, dass es noch mehr Energie im Mittelfeld braucht, um effektives Gegenpressing zu betreiben. Das Mittelfeld muss mehr laufen, um das umzusetzen, aber auch die vorderste Reihe muss noch besser pressen.“ Heißt: Der ohnehin schon intensive Stil könnte noch intensiver werden, um die Probleme zu kaschieren. Möglicherweise auch gepaart mit Spielphasen, in denen auch mal etwas mehr Kontrolle herrscht.
Um konstanter und noch besser zu werden, muss Tottenham viel Detailarbeit leisten, an kleinen Stellschrauben drehen, damit am Ende alles ineinandergreift. Das ist die Hauptaufgabe für das Trainerteam, denn wenn die Saison einige Wochen alt ist und der Spielkalender richtig anzieht, können nicht mehr viele neue Inhalte vermittelt werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in Automatismen und den richtigen Anpassungen, um die Topform zu erreichen, findet auch Experte Pitt-Brooke: „Das taktische Gesamtkonzept wird sich nicht ändern. Die Spurs haben in der letzten Saison bewiesen, dass sie Angeball spielen können, und wenn sie das tun, spielen sie brillant. Aber dazu müssen sie ihre beste Leistung abrufen.“
Neue Herausforderungen für Tottenham
Eines darf nicht vergessen werden: Auf die Spurs kommt in der neuen Saison eine neue Herausforderung zu. Damit ist die Europa League gemeint, die aufgrund des neuen Modus gleich acht Spiele in der Vorrunde bereithält. Der Anspruch Tottenhams ist es, diese zu überstehen, was zusätzlich zu Liga, FA Cup und EFL Cup zu weiteren Belastungen führt. Das mit einem von Grund auf sehr aufwendigen Spielstil in Einklang zu bringen, verlangt allergrößte körperliche Fitness. Spieler werden an die Belastungsgrenze kommen, dürfen aber nicht verheizt werden. Dafür muss der Kader eine entsprechende Breite aufweisen, gleichzeitig muss aber auch die Spitze verbessert werden, um den Schritt in Richtung der Top-4 gehen zu können.
Und die Spitze wurde mit einem Transfer verstärkt, in doppelter Hinsicht sozusagen. Solanke könnte mit einem Jahr Verspätung eine Art Kane-Ersatz sein, weil er deutlich eher der klassische Typ Mittelstürmer ist als Richarlison. Das sieht auch der Experte so: „Dominic Solanke wird sich als gute Verpflichtung herausstellen. Es ist klar, dass sie eine erfahrene Nummer 9 brauchten, die zuverlässiger ist als Richarlison. Nach dem Kane-Abgang war es offensiv teilweise ein Kampf, Postecoglou wurde deswegen auch sehr deutlich bei seinem Wunsch nach einem neuen Spieler. Wenn Solanke fit bleibt, erwarte ich, dass er in dieser Saison mehr als 20 Premier-League-Tore erzielen wird.“
Die Personalplanungen dürften auch noch nicht ganz abgeschlossen sein. Ein weiterer Mittelfeldspieler könnte vor Ablauf des Transferfensters noch in den Fokus rücken. Hier ist Tottenham noch am dünnsten besetzt, gerade was Spieler angeht, die ihre Klasse schon über einen längeren Zeitraum hinweg bewiesen haben.
Wohin geht die Reise für die Spurs 2024/25?
Tottenham hat Ziel, eher kurz- als mittelfristig eine Saison wieder unter den besten vier Teams der Liga abzuschließen. Die notwendige Verstärkung auf der 9 wurde gefunden, dem Mittelfeld fügte man zwei vielversprechende Talente hinzu. Es hat sich nicht sehr viel verändert im Kader, dafür kennen die Spieler die Anforderungen des Trainers und dieser genau die Stärken und Schwächen seines Kaders. Soweit, so gut. Das kann in Verbindung mit einer guten Saison sogar reichen, um am Ende weit vorne zu landen.
(Photo by Masashi Hara/Getty Images)
Aber nur dann, wenn die Saison optimal verläuft. Der mögliche Erfolg der Spurs hängt, Stand jetzt, an einem seidenen Faden. Trotz kluger Kaderzusammenstellung fehlt eine gewisse Portion Brillanz, abgesehen von herausragenden Einzelkönnern wie Heung-min Son. Mannschaftliche Geschlossenheit ist eine Sache, aber viele enge Spiele werden eben von den besonderen Spielern entschieden. Der Kader ist (noch) nicht in der Lage, größere Ausfälle über einen längeren Zeitraum adäquat zu kompensieren und das Team in dieser Zusammenstellung ist es nicht gewohnt, permanent im Dreitagesrhythmus zu spielen.
Kurzum: Tottenham kann zwar positiv gestimmt in die neue Saison gehen und die ersten 14-16 Spieler im Kader können den „Ange-ball“ zwar auf höchstem Niveau abrufen, aber die Zweifel, ob dies mit dem aktuellen Aufgebot über eine lange und beschwerliche Saison hinweg funktionieren wird, müssen erst noch ausgeräumt werden. Zudem gab es in der Vorbereitung noch einige Mängel, die beseitigt werden müssen. Leicester, Everton, Newcastle und Arsenal ist nämlich auch kein Auftaktprogramm, das besonders viel Spaß macht. Wenn das aber einigermaßen unbeschadet überstanden wird, kann einiges möglich sein.
Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.
Das zweite Fußball-Wochenende der neuen Bundesliga-Saison liegt hinter uns und schon ist der ganze Spaß erst einmal wieder durch eine Länderspielpause unterbrochen. In der Kolumne „Aufreger des Wochenendes“ blickt Julius Eid mit einem Augenzwinkern auf ein Thema der vergangenen Tage. Die Bundesliga liefert (Aufreger) Es ist ehrlich gesagt nicht besonders schwer, für diese Kolumne einen […]