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Premier League: Potter und die Kammer des Scheiterns, Citys Fingerzeig und wer ist „the best of the rest“?

4. April 2023 | Trending | BY Chris McCarthy

Trainerentlassungen, Titelkampf und ein Statementsieg dahinter. All das arbeiten wir in den fünf Awards zum 29. Spieltag der Premier League auf.

„Graham Potter und die Kammer des Scheiterns“-Award: FC Chelsea

Sechs Monate war Chelseas Neubesitzer Todd Boehly geduldig, dann musste am Sonntag mit Graham Potter bereits der zweite Trainer seit seiner Übernahme gehen.



Übereinstimmenden Medienberichten zufolge kamen er und seine neugestaltete Klubführung nach Wochen der Rückendeckung nun recht plötzlich zu diesem Entschluss. Zu enttäuschend waren die vier Siege aus den letzten 19 Spielen. Eine klare Sache? Denkste.

Denn wie schon bei der voreiligen Entlassung Thomas Tuchels, zeugt auch dieser Schritt nicht unbedingt von der selbst propagierten Weitsicht und Kontinuität, die der US-Amerikaner Boehly bei den Blues an den Tag legen wollte. Stattdessen agierte der fußballfremde Baseball-Team-Besitzer bislang so, als würde er nach sechs Dosen Red Bull Fußball Manager spielen.

Boehlys bisherigen Meilensteine:

  • Nur sieben Tage, nachdem er – noch ohne fußballerische Expertise um sich herum – ein fragwürdiges Transferfenster mit 300 Millionen an Ausgaben zu Ende brachte, entließ er Tuchel. Er passe plötzlich nicht in die Vision, hieß es damals.
  • Potter kam und erhielt die undankbare Aufgabe, mitten in der Saison und ohne Vorbereitung einem wildfremden Kader seine bei Brighton so attraktive aber anspruchsvolle Spielphilosophie einzuimpfen.
  • Als das (welch Überraschung) nicht binnen drei Monaten gelang, wurde der Kader im Winter mit 350 Millionen Euro weiter aufgebläht. Wieder gab es keine Vorbereitung, dafür über 30 Spieler, entweder mit unsicheren Perspektiven oder Anpassungsproblemen (das behandelten wir bereits hier).

Drei Monate später die Entlassung. Und zwar eine, die deutlich macht, dass sich die Führungsriege primär von den (fehlenden) Ergebnissen hat blenden lassen – und das in einer Übergangssaison. Ein Anfängerfehler. Denn wer genau hinschaut, wird festgestellt haben, dass Potter trotz dieser schwierigen Umstände zuletzt begann, vielversprechende Vorstellungen auf den Rasen zu bringen.

Seit Weihnachten haben nur Manchester City (32,15) und Arsenal (29,03) mehr expected Points – also die Punkte, die anhand der eigenen und gegnerischen Chancen hätten entstehen müssen – in der Premier League geholt als Chelsea (24,43).

Alleine die 0:2-Pleite gegen Aston Villa, als die Blues das Spiel dominierten und ein krasses Chancenplus verbuchten (27:5 Schüsse, 2,16:0,92 xG) verdeutlichte was 2023 fehlt: eine Portion Glück und ein echter Stürmer. Seit Potters Ankunft hat kein Team weniger aus seinen xG gemacht als Chelsea: satte 7,4 Tore hätten die Londoner mehr erzielen müssen. Der Mann auf der Bank erhielt die Schuld.

War Potter fehlerlos? Keinesfalls. In seiner Verzweiflung, Resultate einzufahren, verkrampfte er immer öfter und traf in Sachen Personal, Formation und Taktik einige fragwürdige und vorschnelle Entscheidungen. Und dennoch war der Trainer in diesem Fall vor allem eines: von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

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„Kind Reminder“-Award: Manchester City

Es war schon beeindruckend, wie Manchester City den FC Liverpool am Samstag nach allen Regeln der Kunst sezierte. Mit 4:1 fertigte das Team von Pep Guardiola die Reds ab. „Von der ersten bis zur 93. Minute eine beinahe perfekte Vorstellung“, nannte es der perfektionistische Trainer.

Und er hatte recht. ManCity spielte Liverpool regelrecht schwindelig, die taktische Ausrichtung mit Innenverteidiger John Stones im Mittelfeld war genial und schaffte ständig Überzahlsituationen. Kombinations- und Positionsspiel waren nahezu makellos flüssig und die Offensive selbst ohne Tormaschine Erling Haaland nicht zu bändigen.

Es war eine Machtdemonstration der Cityzens gegenüber den Reds, die in allen Belangen zu langsam, zu ehrfürchtig wirkten und plötzlich meilenweit entfernt vom einst gefürchteten Konkurrenten wirkten.

Vor allem aber war der Auftritt eine freundliche Erinnerung an jene, die Manchester City abstempeln, weil sie „nur“ Tabellenzweiter der Premier League sind. Was ungerecht ist.

Ungerecht gegenüber dem FC Arsenal, der nicht Tabellenführer ist weil City zuweilen etwas stottert, sondern nach 29 Spielen die sechsthöchste Ausbeute in der Geschichte der Premier League vorzuweisen hat. Aber auch ungerecht gegenüber den Cityzens, die 2022/2023 nicht immer in Bestform, und dennoch eine der besten Mannschaften der Welt sind.

Die entsprechende Krönung dafür ist bei acht Zählern (und einem Nachholspiel) Rückstand nicht nur in der Premier League, sondern auch im FA Cup (Halbfinale) und in der Champions League (Viertelfinale gegen Bayern) alles andere als außer Reichweite.

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„Ja ist denn heut schon Ostern?“-Award: Gabriel Jesus

Eine Woche vor Ostern durften sich die Fans des FC Arsenal über die Rückkehr ihres Jesus freuen, Gabriel Jesus.

Knapp fünf Monate nach seiner schweren Knieverletzung stand der Stürmer am Samstag gegen Leeds erstmals wieder in der Premier League in der Startelf. Zugegeben, der Brasilianer brauchte etwas, um ins Spiel zu finden. Nach einer halben Stunde aber demonstrierte er all die Tugenden, die ihn nach seiner Ankunft im Sommer in Windeseile zu einem Leistungsträger bei den Gunners machten: Jesus stiftete mit seinen unermüdlichen Pressing-Aktionen, unberechenbaren Laufwegen und blitzschnellen Körpertäuschungen Chaos im Strafraum der Gäste.

Mit einem herrlichen Dribbling holte er einen Foulelfmeter heraus und verwandelte selbst. In der 55. Minute leitete er spielintelligent selbst ein und staubte antizipationsstark ab.

Der FC Arsenal wird in den kommenden neun Spielen in Bestform und damit Bestbesetzung sein müssen, um die heißlaufenden Cityzens auf Abstand halten zu können. Gabriel Jesus, der vor wenigen Monaten noch als unersetzbar galt und dessen Ausfall überraschend gut kompensiert wurde, gehört zweifelsohne dazu und dürfte den Gunners noch einen weiteren Schub geben.

„Best of the rest“-Award: Newcastle United

Durch den 2:0-Heimsieg über Manchester United belegt Newcastle United den dritten Platz der Premier League. Dort gehören die Magpies – bei aller berichtigter Kritik an der Übernahme durch das saudi-arabische Konsortium – auch hin.

Das liegt nicht nur an dem direkten Vergleich mit den Red Devils, die am Sonntag in allen Belangen unterlegen waren: Intensität, Positionsspiel, Passschärfe. Ein Zahnrad griff ins andere. 2,68 zu 0,43 xG, 22:6 Schüsse und 4:0 Großchancen zeigen zudem, dass der Sieg noch höher hätte ausfallen können.

Zugegeben, die Partie war für Newcastle ein Höhepunkt, allerdings auf einer Formkurve, die bereits über die gesamte Saison äußerst flach und auf hohem Niveau verläuft. Anders als etwa das Team von Erik ten Hag, dessen Kader zwar höhere Qualität aber noch nicht die gleiche Homogenität besitzt, ist die Spielweise stets zu erkennen, die Leistung konstant. Sowohl in der besten Defensive der Premier League (19 Gegentore), als auch im einstudierten wie direktem Angriff.

Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass Newcastle United nach Arsenal und Manchester City die überzeugendste und ausgereifteste Spielanlage der Premier League besitzt.

„Claudio Ranieri“-Award: Brendan Rodgers

Februar 2017. Neun Monate, nachdem Claudio Ranieri den vermeintlichen Abstiegskandidaten Leicester City zum überraschendsten Meistertitel in der Geschichte der Premier League führte, wurde der Italiener entlassen. Die Foxes waren im Abstiegskampf gelandet. So undankbar es schien, so umstritten und unbequem der Entschluss der eigentlich beliebten Besitzer auch war, aus sportlicher Sicht musste es sein. Zu fragwürdig waren einige Entwicklungen und Leistungen, zu groß die Gefahr des Abstiegs.

Fast auf den Monat genau sechs Jahre später, sah sich Leicester City in einer ähnlichen Situation. Brendan Rodgers, der den Klub 2021 zum ersten Pokalgewinn in der Vereinsgeschichte und zwei aufeinanderfolgenden Teilnahmen an der Europa League (beinahe Champions League) führte, musste am Sonntag gehen. Wieder gab es von außen Kritik. Doch wieder ist der Entschluss äußerst nachvollziehbar.

Sicher, Rodgers hatte bei Leicester zuletzt nicht die idealsten Voraussetzungen. Während mit Kasper Schmeichel und Wesley Fofana zwei Eckpfeiler gingen, blieben nennenswerte Neuzugänge aufgrund von Transferfehlgriffen und einhergehenden Finanical-Fair-Play-Restriktionen nahezu aus. Das legitimiert allerdings nicht den Absturz auf Rang 19 der Premier League, zumal der Kader auf dem Papier weiterhin sehr gut bestückt ist.

Nein, viel mehr erschien die Entlassung nicht erst nach einem lethargischen Auftritt beim 1:2 gegen Crystal Palace am Samstag laut einem Bericht von The Athletic regelrecht überfällig. Die Probleme – über Intensitätsverlust, taktisch wie personeller Fehlgriffe bis hin zur öffentlichen Kritik am Kader und teilweise harschen Aussortierungen – hatten sich gehäuft und drohten nun im Abstieg zu enden. Vorstand Aiyawatt Srivaddhanaprabha äußerte Bedauern, sah sich bei drei Punkten Rückstand auf das rettende Ufer gezwungen, zu handeln.

Auch er weiß: Dankbarkeit alleine schützt nicht vor dem Abstieg.

(Photo by Marc Atkins/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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