Jahresawards 2022: Was war das Spiel des Jahres?

29. Dezember 2022 | WM-Spotlight | BY 90PLUS Redaktion

Das Fußballjahr 2022 neigt sich dem Ende entgegen, also ist es Zeit für die 90PLUS-Jahresawards. In sieben Kategorien lassen wir das Jahr noch einmal Revue passieren. Die fünfte Kategorie beschäftigt sich mit dem Spiel des Jahres. 

Und hier wird es besonders knifflig. Fast jede Woche gibt es eine Partie, die heraussticht. Es muss auch nicht immer das spektakulärste Spiel sein, es kann auch eines mit einer besonderen Bedeutung sein. Das Endspiel in der Europa League war nicht immer hochklassig, aber hochspannend. Klubs wie Milan, die in diesem Jahr einen Meistertitel holten, hatten auf ihrem Weg dorthin auch viele Schlüsselspiele. Der Last-Second-Ausgleich des BVB gegen den FC Bayern war hochdramatisch, neun Tore fielen beim 6:3 für Manchester City im Derby gegen United. Auf Basis einer internen Vorabstimmung in der 90PLUS-Redaktion wurden aber drei andere Spiele für die Jahresawards ausgewählt. Ganz unten geht es zur Abstimmung! 



Argentinien vs. Frankreich im Endspiel der WM 2022

„Umarmen, schreien, weinen. Wir sind Weltmeister im spannendsten Finale der Geschichte. Im Finale, das niemand sich so vorstellen konnte“, schrieb die argentinische Zeitung Olé. Das Endspiel der WM 2022 war eine Ode an den Fußball im größten Spiel des Fußballs. Von Beginn an war den Argentiniern anzusehen, wie sehr sie den dritten Weltmeistertitel haben wollten. Das schlug sich sogleich in einem verwandelten Elfmeter Lionel Messis (23′) sowie dem perfekt zu Ende gespielten Konter von Ángel Di María (36′) nieder.

Frankreich wirkte verunsichert und behäbig, sodass Didier Deschamps noch vor der Pause die beiden Bundesligaakteure Marcus Thuram (Borussia Mönchengladbach) und Randal Kolo Muani (Eintracht Frankfurt) einwechselte. In der zweiten Hälfte kämpfte sich der Titelverteidiger stückweise zurück in die Partie. Es dauerte allerdings bis zur 79. Minute, als Kolo Muani eine Unachtsamkeit von Nicolás Otamendi ausnutzte und sich im Strafraum foulen ließ. Kylian Mbappé werwandelte sicher. Nur gut 94 Sekunden später stibitzte Kingsley Coman Messi die Kugel vom Fuß, Adrien Rabiot fand links Mbappé, der sich das Spielgerät von Thuram vorlegen ließ und volley ins lange Eck zum 2:2 traf! „He is an awesome force of nature!„, kommentierte Peter Drury. Di María, dem nach seinem Tor die Freudentränen kamen, war auf der Bank das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Frankreich versuchte, das Spiel mit dem Momentum im Rücken, noch komplett zu drehen. Allerdings rettete sich Argentinien in die Verlängerung.

Mit zunehmender Spielzeit gelang es ihnen, ihre Dominanz der Anfangsphase wiederherzustellen. Nach einem langen Ball von Gonzalo Montiel in Minute 109 kombinierte sich die Albiceleste erneut mit drei Kontakten ansehnlich in den Strafraum. Den Abschluss von Lautaro Martínez konnte Hugo Lloris noch parieren, Messi schob zum Doppelpack ein. Jules Koundé konnte erst hinter der Linie klären. Damit war die Storyline eigentlich geschrieben, keine zehn Minuten später aber schon wieder torpediert. Montiel klärte nach Coman-Eckball einen Schuss von Mbappé im Strafraum mit dem ausgefahrenen Ellenbogen. Szymon Marciniak zeigte zum dritten Mal auf den Punkt. Mbappé verlud Emiliano Martínez und traf sicher ins linke Eck. Dreierpack, 3:3! Der erste Dreierpack in einem WM-Finale seit Sir Geoff Hurst 1966.

Was dieses Spiel einzigartig machte, ereignete sich allerdings erst in den Folgeminuten. Eigentlich hätte man erwarten können, dass beide Teams mit diesem Ergebnis im Rücken auf Ergebnissicherung und Fehlervermeidung gehen. Genau davon war allerdings überhaupt nichts zu sehen. 120. Minute, Kolo Muani taucht nur knapp unter einer Mbappé-Flanke hindurch, die sich dennoch gefährlich Richtung langes Eck senkte. 120’+3, ein langer Konaté-Ball rutscht zum Frankfurter durch, der urplötzlich glockenfrei vor Martínez steht. Argentiniens Keeper entschärfte mit einem unfassbaren Fußreflex. Direkt im Gegenzug gab es die Chance für Lautaro Martínez. Danach aber stand das Elfmeterschießen.

 

 

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Mbappé: Tor. Messi: Tor. Wie einst MJ gegen Kobe, nur diesmal im Fußball. Wenn man sich bei der aktuellen WM auf eines verlassen konnte, dann dass es in jedem Elfmeterschießen ein Team gab, dem mindestens zweimal die Nerven versagten: Japan und Brasilien gegen Kroatien, Spanien gegen Marokko und die Niederlande gegen Argentinien. Dieses Team war diesmal Frankreich. Coman scheiterte an Martínez, Aurélien Tchouaméni verzog. Währenddessen stellten Paulo Dybala und Leandro Paredes auf 3:1. Argentinien konnte mittlerweile das eigene Spiegelbild im Pokal sehen. Kolo Muani musste treffen – und tat das auch. 2:3. Der Matchball gehörte Gonzalo Montiel. Ein Blick, ein Schuss – und 36 Jahre Warten gehörten der Vergangenheit an. Über vier Millionen Menschen versammelten sich am Folgetag bei gut 30 Grad in Buenos Aires auf den Straßen um den dritten Weltmeistertitel zu feiern.

Victor Catalina

Das Rückspiel in der Königsklasse zwischen Real Madrid und Manchester City

Wenn ein Champions-League-Halbfinal-Hinspiel mit 4:3 endet, und dennoch das zweite Aufeinandertreffen als Partie des Jahres nominiert wird, muss einiges passiert sein. So geschehen beim Duell zwischen Real Madrid und Manchester City am 4. Mai 2022, welches als eine der packendsten Aufholjagden in die Geschichte des Fußballs eingeht. Im Spanischen nennt man eine solche Dramatik „Remontada“.

Nach der Pleite in England eine Woche zuvor, war die Ausgangssituation für die Königlichen klar umrissen: nur ein Sieg würde den Traum vom Finale aufrechterhalten. Im Estadio Santiago Bernabéu entwickelte sich im Spiel der beiden europäischen Schwergewichte das erwartet enge Match. Die Blancos versuchten lange Zeit ein Erfolgserlebnis zu erzwingen, scheiterten aber insbesondere in Person Vinicius Juniors. Die Sky Blues lauerten ihrerseits auf Konter, doch die Kugel wollte auf beiden Seiten nicht im gegnerischen Gehäuse einschlagen – bis zur 73. Minute! Der Schock für Real! Bernardo Silva wurde vom deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan gekonnt in Szene gesetzt, passte auf Riyad Mahrez und der Algerier ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen – 1:0 Manchester City.

Im Kicker-Ticker wurde diese Aktion folgendermaßen kommentiert: „City geht in Führung und sorgt damit für die Vorentscheidung!“ Niemand glaubte mehr an ein Wunder und auch Carlo Ancelottis Mannschaft wirkte geschockt und konsterniert. Selbst die heißblütigen spanischen Fans hatten sich womöglich bereits mit dem Aus in der Vorschlussrunde abgefunden, doch dann folgte die spektakuläre Nachspielzeit des eingewechselten Rodrygo. Der brasilianische Flügelflitzer, eigentlich nicht für seine Torgefahr bekannt, wurde zunächst von Karim Benzema eingesetzt und verwandelte zum Ausgleich aus kurzer Distanz. Wenige Sekunden später sorgten 1,74 m Körpergröße für ekstatische Gefühlsausbrüche im Stadionrund. Eine Flanke des Ex-Leverkuseners Daniel Carvajal wurde von Marco Asensio verlängerte und fand Rodrygos Kopf – Tor, Jubel, Verlängerung. In dieser kam es dann zur Krönung dieses epischen Spiels mit dem verrückten Drehbuch, welches nicht für HerzpatientInnen kompatibel war. Citys Ruben Dias hatte den französischen Mittelstürmer Benzema im Strafraum zu Fall gebracht. Der Gefoulte, spätere Gewinner des Ballon d’Ors, nahm sich das Spielgerät und trat, allen gängigen Fußball-Thesen zum Trotz, selbst zum Elfmeter an. Es folgte das 3:1, das Tor zur Glückseligkeit – der Einzug ins Champions-League-Finale nach dieser Aufholjagd war perfekt.

Steven Busch

90PLUS-Jahresawards 2022: Team des Jahres

Der Sieg von Eintracht Frankfurt im Camp Nou

Bereits am Morgen des 14. April 2022 war klar: dieses Spiel ist kein gewöhnliches. Eintracht-Präsident Peter Fischer hatte vor den beiden Duellen gegen de FC Barcelona gesagt, es seien die größten Spiele der Klubgeschichte seit dem Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Real Madrid 1960. Und nachdem das Hinspiel in der Frankfurter Deutsche Bank Arena hoffnungsstiftend 1:1 geendet war, reisten am 14. April Zehntausende Eintracht-Fans in die katalanische Hauptstadt. Die weißgekleideten Frankfurter fluteten Barcelonas Straßen. Lautstark und mit roten Fahnen. Die Bilder gingen um die Welt.

Am Abend, kurz bevor Schiedsrichter Artur Soares Dias das Spiel im Camp Nou anpfeifen würde, sorgten die Fans der Eintracht erneut für Bilder, die um die Welt gingen. 5.000 Karten waren für die deutschen Fans vorgesehen, doch der gesamte Oberrang einer Kurve des Camp Nou war weiß – und noch mehr. Die Eintracht-Fans hatten das Camp Nou regelrecht eingenommen. Knapp 25.000 waren im Stadion. Die Karten hatten sie sich mit verschleierten IP-Adressen und spanischen Kreditkarten erschlichen – um ihre Adler auf dem Rasen zu unterstützen.

(Photo by David Ramos/Getty Images)

Und die fingen spätestens ab der dritten Spielminute an zu fliegen. Eine Bogenlampe segelte in den Strafraum des FC Barcelona. Am Fünfmeterraum zerrte Eric García so lange an Jesper Lindstrøm, bis dieser zu Boden ging. Strafstoß! Filip Kostić legte sich den Ball zurecht und verwandelte. Die Eintracht führte, das Camp Nou bebte. Die Eintracht erstickte mit ihrem giftigem Spiel jeden der wenigen kreativen Ansätze des FC Barcelona. Und vorne war es einer dieser Spiele, die nicht zu erklären sind. Einer der Abende, an denen Kunststücke gelingen. Wie in der 36. Spielminute, als Rafael Borré ziellos durch die eigentlich ganz ordentlich sortierte Verteidigung der Hausherren trabte, und den Ball deswegen aus 22 Metern traumhaft unter die Latte wuchtete. Kaum jemand konnte es glauben, aber Eintracht Frankfurt führte zur Pause mit 0:2 im Camp Nou.

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Der FC Barcelona mühte sich in der zweiten Hälfte, doch nichts und niemand konnte den Adler an jenem Abend die Flügel stutzen. So war es erneut Filip Kostić, der in der 67. Spielminute den Ball mit links flach ins lange Eck schoss und den Traum endgültig zur Realität machte. Die beiden Anschlusstreffer des FC Barcelona in der Nachspielzeit kamen zu spät – Eintracht Frankfurt stand im Halbfinale der Europa League. „Die Niederlage von Barça begann schon am Kartenschalter“, schrieb La Gazetta dello Sport. „Ein Spiel für die Geschichtsbücher“, titelte der Kicker.

Florian Weber

 

Photo by Julian Finney/Getty Images


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