WM 2022 | Trotz guter Punktausbeute: Kein Grund zur Euphorie rund um die Niederlande

3. Dezember 2022 | WM-Spotlight | BY Manuel Behlert

Sieben Punkte aus drei Spielen, nur ein Gegentor: Die Niederlande spielte rein auf die Resultate gemünzt eine gute Gruppenphase bei der WM 2022. Der Gruppensieg war am Ende ungefährdet, doch Euphorie mag rund um die Elftal nicht aufkommen. Aus guten Gründen. 

Niederlande: Drei Spiele, sieben Punkte, wenig brilliert

Vor der Gruppenphase der WM 2022 in Katar herrschte bei den Niederlanden Zuversicht. Bondscoach Louis van Gaal (71) lobte den Kader in höchsten Tönen und sprach sogar von sehr guten Chancen auf den Titel. „Wir haben mehr Qualität als 2014. Wir können Weltmeister werden. Ob wir es schaffen, steht auf einem anderen Blatt“, so der erfahrene Trainer vor dem Turnier. Drei Spiele und sieben Punkte später hat sich die Stimmung rund um die Elftal ein wenig gewandelt, was rein anhand der Resultate ein wenig paradox klingt. Die Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit auf höchstem Niveau steigen allerdings. Um zu verstehen, warum das der Fall ist, müssen die Spiele genauer betrachtet werden.



Der Auftakt gegen den Senegal riss die Zuschauer nicht von den Sitzen. Nun mag argumentiert werden können, dass es immer wichtig ist, vor allem mit einem positiven Resultat in ein Turnier zu finden. Und das stimmt auch in diesem Fall, aber in der Gruppe A galt die Niederlande von Beginn an als klarer Favorit. Zweifelsohne brachte der Gegner viel Qualität mit, besonders im schnellen Umschaltspiel, aber über 60-70 Minuten war von Spielfreude bei der Elftal nur wenig zu sehen. Die individuelle Qualität, etwas Spielglück und am Ende auch die nötige Effizienz sorgten für den Sieg gegen den Senegal, der mit 2:0 auch noch ein Tor zu hoch ausfiel.

Wer meinte, der würde einer Befreiung gleichen, der lag falsch. Van Gaal versuchte gegen Ecuador, das Team mit der ein oder anderen Anpassung zu beleben, doch der Auftritt gegen die Südamerikaner war bieder. Zu wenig Spielfluss, zu wenig Kreativität im Aufbau – trotz Spielern wie Virgil van Dijk (31) und Jurrien Timber (21). Und letztlich auch zu wenig Durchschlagskraft im Spiel nach vorne: Das System der Niederlande mit der vom typischen 4-3-3 abweichenden Dreierkette, einer Abkehr vom Oranje-Dogma, wirkte nicht ausgereift. Selbst gegen Katar, dem wohl schwächsten Team bei dieser WM 2022, brillierte die Niederlande nicht. Das 2:0 und der kaum vorhandene Spielwitz wurden mit einer historisch schlechten Einschaltquote quittiert.

Die echten Tests kommen noch

Viele Experten fragen sich nun, wie diese Gruppenphase der Elftal einzuschätzen ist. Spielte das Team auf Sparflamme oder ist nicht viel mehr möglich? Selbst in dieser Gruppe ein negatives Verhältnis der Expected Goals hinzulegen spricht nicht für dieses Team. Memphis Depay (28), der im Verlauf der Gruppenphase herangeführt wurde, wirkt oft allein gelassen, sorgte auch nicht für die Belebung, die das Spiel von Oranje so dringend braucht. Noch immer kann sich die Bilanz unter dem Bondscoach sehen lassen, aber die großen Tests gab es zuletzt nicht, schon gar nicht bei der Weltmeisterschaft.

Ja, es gibt den Spruch, wonach ein gutes Pferd nur so hoch springt wie es muss, aber andere Titelkandidaten wie Brasilien, Frankreich oder Spanien versprühten zumindest in Phasen Spielfreude, konnten in engeren Situationen während eines Spiels nachlegen. In der Breite fehlt den Niederlanden im Vergleich zumindest auf manchen Positionen Qualität, Spieler wie Vincent Janssen (28), der zum Auftakt startete, hatten bisher überhaupt keinen Einfluss. Dazu schmeichelt Matthijs de Ligt (23) seine unter van Gaal angedachte Rolle in der Dreierkette ganz und gar nicht, weswegen er nach dem ersten Spiel auf die Bank rutschte.

Niederlande van Gaal WM 2022

(Photo by KARIM JAAFAR/AFP via Getty Images)

Aktuell entsteht rund um Oranje wieder einmal der Eindruck, van Gaal habe auf Durchzug geschaltet. Die Niederlande wirkt nicht komplett homogen in ihrer Art und Weise, wie sie Fußball spielt und aufgestellt wird. Dem Bondscoach ist das egal, Kritik prallt an ihm ab. Angesprochen auf das wenig unterhaltsame Spiel entgegnete der 71-Jährige: „Ich gebe Ihnen nicht recht und werde das nicht ausführen. Sie haben eine andere Auffassung von Fußball als ich. Warum schreiben Sie nicht einfach, dass wir furchtbar langweilig spielen und fahren morgen nach Hause, weil Ihnen alles egal ist?“

Derartige Aussagen van Gaals sind keine Neuheit. Schon als Vereinstrainer stellte er sich vor die Mannschaft, wenn Leistungen oder Resultate nicht den Ansprüchen entsprachen. Gleichzeitig übte er Kritik, wenn die Dinge sehr gut liefen. Er weiß auch, dass die Mannschaft jetzt von Spiel zu Spiel mehr getestet wird. Zusätzliche Unruhe kann der Bondscoach da nicht gebrauchen. Denn schon gegen die USA droht eine sehr schwierige Partie. Die US-Amerikaner zeigten schon gegen England ihre Qualität, konnten diesen individuell überlegenen Gegner weitgehend neutralisieren und ein Remis mitnehmen.

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Niederlande: Alles Gakpo, oder was?

Der niederländische Fußball kennzeichnet sich in der Regel durch ein hohes Pressing, viele Angriffsaktionen, eine klare Struktur im Spiel mit dem Ball und viel Qualität im Passspiel. Davon ist aktuell nicht allzu viel zu erkennen. Der Aufbau wirkt mitunter fahrig und uninspiriert, sodass Frenkie de Jong (25) aus dem Mittelfeldzentrum weiter hinten gebunden ist, als ihm eigentlich lieb sein dürfte. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Struktur im Offensivspiel. Die Niederlande schafft es nicht, alle Mannschaftsteile ideal miteinander zu verbinden. Die Folge: Vieles bleibt Stückwerk und deswegen hängt vieles von der individuellen Klasse ab. Gut für Oranje, dass ein Spieler bisher das Optimum aus sich herausholt: Cody Gakpo (23).

Bei der PSV Eindhoven machte der Offensivspieler schon auf sich aufmerksam, längst steht er auf dem Notizzettel vieler Klubs in Europa, darunter Manchester United. Er ist das Gesicht der Effizienz der Elftal, macht aus seinen Chancen bisher bei diesem Turnier das Maximum. Drei Tore erzielte er, zudem ist er mit seiner Wendigkeit, Dynamik und Geschwindigkeit ein wichtiger Spieler, um Lücken aufzureißen und Konter auszuspielen. Er muss seine gute Form behalten, um der Elftal weiter die Hoffnung auf ein sehr gutes Abschneiden bei diesem Turnier geben zu können.

Wenn dann noch Depay einen Schritt nach vorne macht und sich der Aufbau verbessert, um dem gesamten Spiel mehr Struktur zu verleihen, könnte van Gaal mit seiner Aussage zur Qualität doch noch richtig liegen. Was aktuell überwiegt, sind die Zweifel, ob Oranje wirklich binnen weniger Tage eine Vielzahl der Stellschrauben in die entscheidende Richtung bewegen kann. Gakpo hin oder her.

(Photo by ADRIAN DENNIS/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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