Spotlight

Ist Deutschland bereit für die Heim-EM? Die Gründe für das 2:0 gegen Frankreich

24. März 2024 | Spotlight | BY Till Gabriel

Mit einem verdienten wie überzeugenden 2:0 über Titelfavorit Frankreich ist Deutschland fulminant ins EM-Jahr gestartet. Während ein Rückkehrer im Mittelfeld den Ton angibt, lässt ein Offensiv-Trio von Großem träumen. Der Kapitän wirft Fragen auf.

Deutschland: Blitzstart und Traumkombination – Zwei Tore vom Reißbrett

Lang ist es her, dass ein Testspiel der deutschen Nationalmannschaft mit so einer Spannung verfolgt wurde. Doch der neuformierte Kader, eine fesselnde Marketing-Kampagne und der vieldiskutierte Wechsel von Adidas zu Nike hatten die deutschen Auswahl vor dem Duell mit Frankreich wieder ins Bewusstsein einer zuletzt so DFB-müden Nation gebracht. Kann es die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann schaffen, drei Monate vor Turnierbeginn für EM-Euphorie zu sorgen? Nach dem 2:0 über den Weltmeister von 2018 ist klar: Ja, kann sie!



In Lyon kehrte Nagelsmann nach den missglückten Versuchen mit einer Dreierkette zum simplen 4-2-3-1 zurück. Maximilian Mittelstädt debütierte als Linksverteidiger, Rückkehrer Toni Kroos begann neben Abräumer Robert Andrich in der Zentrale. Kapitän Ilkay Gündogan agierte etwas offensiver auf der Zehn, flankiert von Jamal Musiala und Florian Wirtz. In der Sturmspitze entschied sich der Bundestrainer nicht etwa für Dortmunds Niclas Füllkrug oder Deniz Undav vom VfB Stuttgart, Kai Havertz durfte von Beginn an ran. Die Entscheidung pro Havertz erkläre Nagelsmann am ZDF-Mikrofon: „Er kann sehr gut mit dem Rücken zum Tor spielen, kann Bälle festmachen, hat zuletzt viel getroffen bei Arsenal. Er hat oft zentrale Spitze gespielt, aber hat eben auch die Fähigkeit, tief zu laufen. Das macht er schon sehr, sehr gut.“

Nagelsmanns Plan ging in Rekordzeit auf. Direkt nach dem Anstoß sprintete Havertz in den Raum zwischen Benjamin Pavard und Jules Koundé und riss so ein großes Loch zwischen Frankreichs Abwehr und Mittelfeld. Kroos spielte einen herausragenden Ball in diesen Raum, den Wirtz, von links nach innen ziehend, zum 1:0 verwertete. Ein einstudierter Ablauf, wie Kroos nach der Partie bestätigte. Frankreich fand zwar im Laufe der ersten Halbzeit besser ins Spiel, ließ jedoch einige Gelegenheiten ungenutzt. Neuer-Vertreter Marc-André ter Stegen vereitelte die größte Chance der Gastgeber mit einer starken Parade gegen Superstar Kylian Mbappé.

Alle Infos und Storys rund um die Nationalmannschaft findet ihr hier

Mittelstädt, Andrich, Kimmich: Nagelsmanns Kniffe greifen

Nach dem Seitenwechsel übernahm die DFB-Elf endgültig das Kommando. Nagelsmanns Spielidee und seine personellen Veränderungen erwiesen sich als Volltreffer. Mittelstädt stabilisierte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Defensive und wusste offensiv zu gefallen, während Joshua Kimmich gegen Mbappé unter Beweis stellte, dass er für diese Mannschaft nirgendwo so wertvoll ist, wie als Rechtsverteidiger. Auf Kimmichs Lieblingsposition, im Zentrum, gab Kroos den Takt vor. Der Routinier von Real Madrid holte sich bei seinem Comeback viele Bälle tief ab, überzeugte neben 143 Ballaktionen und einer Passquote von 95 Prozent auch gegen den Ball. Neben dem Weltmeister konnte auch Abräumer Andrich mit seiner Körperlichkeit und Präsenz für sich werben.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Für Begeisterung sorgte das Duo der Hochbegabten in der Offensive. Mit Musiala und Wirtz verzichtete Nagelsmann auf klassische Flügelspieler. Die fehlende Breite wurde jedoch nicht zum Problem, weil sich die Außenverteidiger immer wieder einschalteten und auch Havertz sich hin und wieder auf die Flügel fallen ließ. Währenddessen agierten Musiala und Wirtz halbrechts und halblinks. Gerade dem Leverkusener war von Beginn an anzumerken, dass das genau die Rolle ist, in der er auch im Vereinsalltag regelmäßig besticht. Musiala brauchte einen Moment, um ins Spiel zu kommen, stellte dann aber ebenfalls seine Extraklasse unter Beweis.

Das 2:0 war ein Muster-Beispiel für Nagelsmanns Offensiv-Idee. Wirtz dribbelte links ins Zentrum, Musiala startete in Havertz‘ Rücken in die Tiefe, umkurvte Keeper Brice Samba und legte für den mitgelaufenen Arsenal-Stürmer auf, der zum vorentscheidenden 2:0 einschob. Ein traumhaft herausgespieltes Tor, das ähnlich einstudiert wirkte wie das 1:o nach acht Sekunden. Mit dem Trio aus Fixpunkt Havertz sowie den Freigeistern Musiala und Wirtz scheint der Bundestrainer rechtzeitig zum Turnier eine Sturmreihe gefunden zu haben, in der die Stärken der beide talentiertesten deutschen Fußballer bestens zur Geltung kommen.

Wird der Kapitän zum Härtefall?

Trotz des Traumstarts ins Länderspieljahr 2024 bleiben einige Fragen offen. Wie präsentiert sich die Mannschaft gegen individuell schwächere Gegner, die tief stehen und auf Konter lauern? Bei den vergangenen Turnieren wurde der Nationalelf die Ideenlosigkeit gegen tiefe, kompakte Defensivblöcke immer wieder zum Verhängnis, siehe Japan 2022 oder Mexiko 2018. Antworten darauf wird wohl auch nicht das kommende Aufeinandertreffen mit den Niederlanden liefern. Darüber hinaus ist fraglich, welche Rolle der Kapitän beim Heimturnier einnehmen kann. In einer starken deutschen Mannschaft fiel Ilkay Gündogan leistungstechnisch ab. Der 33-Jährige hing in der offensiveren Rolle meist in der Luft, verzeichnete gerade einmal 47 Ballaktionen, ehe er in der 72. Minute durch Thomas Müller ersetzt wurde.

Der Barca-Star war zwar bemüht und wusste gegen den Ball zu gefallen, leistete sich aber immer wieder unnötige Ballverluste und ließ seine Sicherheit im Passspiel vermissen. Nur 84 Prozent seiner Zuspiele fanden den Mitspieler, dabei agierte Gündogan eigentlich eher risikoavers, suchte selten den schwierigen Pass in die Tiefe. Ihm war anzumerken, dass er das Spiel deutlich lieber als Achter vor sich hat als mit dem Rücken zum Tor zu agieren. Gündogan, ohne Zweifel ein Weltklassespieler, hat weder die Körperlichkeit eines Havertz, noch die Dribbelstärke und das Tempo eines Musiala und Wirtz, um dem Spiel als Zehner seinen Stempel aufzudrücken. Auf seiner Idealposition ist jedoch Rückkehrer Kroos gesetzt, neben dem Madrilenen soll ein Spieler wie Andrich auflaufen. Gündogan droht zum Härtefall zu werden.

Am Dienstag (20.45 Uhr, RTL) steht für die Nagelsmann-Elf das nächste prestigeträchtige Testspiel an. Gegen die Elftal muss die Mannschaft zeigen, dass der überzeugende Auftritt gegen Frankreich diesmal keine Eintagsfliege war. Schon im Juni vergangenen Jahres hatte Deutschland unter Interimstrainer Rudi Völler gegen die Franzosen gewonnen, drei Spiele später war die leichte Aufbruchstimmung schon wieder verflogen. Jetzt gilt es, die neu entfachte Euphorie mit ins Turnier zu tragen.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)


Ähnliche Artikel