WM 2022 | Australiens simple Mittel für den Einzug in die K.O.-Runde

3. Dezember 2022 | WM-Spotlight | BY Manuel Behlert

Große Turniere zeichnen sich auch durch Überraschungen aus. Vermeintlich kleine Fußballnationen schaffen es, die „Großen“ zu ärgern oder sogar in die K.O.-Runde einzuziehen. Auch bei der WM 2022 ist das wieder der Fall. Australien ließ Tunesien und Dänemark hinter sich und spielt nun im Achtelfinale gegen Argentinien. 

Doch wie schafften es die Socceroos nach der deutlichen Auftaktpleite gegen die Equipe Tricolore wieder in die Spur zu finden? Australien hat sich auf die simpelsten Mittel beschränkt. Zweifelsohne wurden diese aber so gut wie es diesem Team eben möglich war eingesetzt. Wer in den Spielen gegen Tunesien und Dänemark ohne Gegentreffer bleibt, der macht etwas richtig.

Australien: Eine Auftaktpleite als Lehre

Eine große Fußballnation war und ist Australien nicht. Es gibt einige Spieler, die den Weg nach Europa gefunden haben, dort aber nicht bei den Topklubs spielen. Die englische 2. Liga oder die schottische Liga sind die typischen Gefilde, in denen die Socceroos ihre Spieler beobachten können. Folglich sieht auch der Fußball seit Jahren recht gleich aus: Viele wuchtige Spieler stehen im Kader, vor allem das Defensivzentrum soll dicht gemacht werden. Spielkultur? Fehlanzeige. Zumindest, wenn man den Vergleich zu den ganz großen Nationen bemüht. Aber das muss auch nicht der Anspruch der Australier sein.



Das erste Spiel gegen Frankreich sollte gleich ein Gradmesser sein. Australien kam gut in die Partie, ging durch einen schnell vorgetragenen Angriff, auch profitierend von Unzulänglichkeiten in der Abwehr des Gegners, sogar in Führung. Mit zunehmender Spieldauer wurde der Druck der Franzosen aber immer stärker und schließlich konnte die tapfer kämpfende australische Mannschaft die Gegentreffer nicht mehr verhindert. Gab das Team von Trainer Graham Arnold (59) dem Gegner auch nur einen Meter zu viel Raum, dann wurde es bestraft. So ist das eben auf dem höchstmöglichen Niveau.

Die Partie endete mit 4:1 für Frankreich. Es war ein Ergebnis, das anhand der Vorzeichen vor dem Spiel auch so zu erwarten war. Trotzdem konnte die australische Auswahl einiges aus diesem Spiel mitnehmen. Denn es gab Phasen, in denen der amtierende Weltmeister zumindest vor Probleme gestellt wurde. Das schnörkellose Spiel funktionierte vor allem in den ersten 30 Minuten sehr ordentlich. Außerdem konnten hohe Bälle in letzter Linie gut verteidigt werden, auch die Abstimmung in der Defensive bei ruhenden Bällen war nicht schlecht. Und: Jeder wusste das Ergebnis und den Gegner einzuordnen.

2x Bollwerk, 2x Erfolg

Knifflig bei einer Weltmeisterschaft ist, dass es nur drei Gruppenspiele gibt. Jedes Spiel muss folglich sitzen. Gegen Tunesien stand Australien schon ein wenig unter Druck, hielt diesem aber stand. Mitchell Duke (31), der in Japan sein Geld verdient, köpfte den entscheidenden Treffer zum 1:0-Sieg gegen die Nordafrikaner. Und plötzlich stand die Tür in Richtung Achtelfinale offen! Der letzte Gegner war Dänemark, auch hier reichte es zu einem 1:0, das vielleicht noch überraschender war. Torschütze war ein alter Bekannter aus der Bundesliga, Mathew Leckie (31), mittlerweile bei Melbourne City aktiv.

Australien

(Photo by Claudio Villa/Getty Images)

Die beiden Erfolge hatten durchaus einige Gemeinsamkeiten. In beiden Partien zog Australien die Lehren aus dem Frankreich-Spiel. Man hatte als Zuschauer den Eindruck, als ob gegen die Equipe Tricolore getestet werden sollte, was geht und was nicht. Soll heißen: Auf Ballstaffetten durch das Zentrum wurde weitgehend verzichtet. Vielmehr waren es klare Aktionen in der Abwehr, die zum Kampf um zweite Bälle führten. Australien war hochmotiviert, bestritt jeden Zweikampf intensiv und gewann viele Duelle. Offensiv ging es darum, schnörkellos zu agieren. Kluge Laufwege, frühe Flanken oder Abschlüsse. Und defensiv mussten Druckphasen des Gegners ausgehalten werden. Das gelang zweimal, deswegen stehen die Socceroos im Achtelfinale.

WM 2022: Wie und warum wir berichten 

Australien: Schlüsselspieler halten das Team zusammen

Der Erfolg Australiens bei der WM 2022 bis zu diesem Zeitpunkt lässt sich auch anhand einiger Protagonisten auf dem Feld erklären. Natürlich spielt der Trainer eine Rolle, der dieser Mannschaft ein funktionierendes Defensivkonzept mit auf den Weg gegeben hat. Aber ohne die richtigen Spieler lässt sich das nur schwer umsetzen. Harry Souttar (24) von Stoke City ist ein solcher Spieler. Er wirkt wie der Prototyp eines beinharten Verteidigers aus den unteren englischen Spielklassen, der für den Ball nur eine Richtung kennt: weg. Weit weg. Mit seinen 1,98m Körpergröße ist er prädestiniert dafür, jeden hohen Ball, der sich erdreistet, in den Strafraum der Australier zu fliegen, in die entgegengesetzte Richtung zu befördern. Besonders während der Druckphasen der Gegner zeichnete er sich aus.

Die Außenverteidiger haben primär die Aufgabe, die Abstände sowohl nach vorne als auch innerhalb der Abwehrkette so gering wie möglich zu halten. Das hilft dabei, den Gegnern wenig Raum zu geben. In den Spielen gegen Dänemark und Tunesien funktionierte das formidabel, auch das Mittelfeld half mit. Ein wichtiger Mann hier war Jackson Irvine (29) vom FC St. Pauli. Er läuft ein wenig unter dem Radar, wenn er neben Aaron Mooy (32) spielt, ist aber mindestens genauso wichtig. Beide ergänzen sich gut, schaffen es hervorragend, die Lücken zu schließen und das Spiel nach vorne nicht unnötig kompliziert zu gestalten. 

In der Offensive verstand sich der bereits angesprochene Leckie oftmals als Ein-Mann-Entlastungskommando. Auch im fortgeschrittenen Fußballalter ist er noch beweglich, wendig und sprintstark. Seine Einzelaktion gegen Dänemark war formidabel, zudem profitiert er vom Zusammenspiel mit einem Zielspieler im Angriff, der dafür da ist, die Bälle festzumachen und abzulegen. Vollkommen unabhängig davon, wer diese Rolle einnimmt. Die Spieler, die von der Bank kommen, haben zwar nicht die ganz große Qualität, aber die Fähigkeit, sich in jeden Ball zu werfen und aufopferungsvoll zu verteidigen. 

Wer taktische Innovationen oder Champagnerfußball sucht, ist bei den Socceroos falsch. Australien beherrscht es aber, taktisch vermeintlich simple Elemente nicht nur sehr gut umzusetzen, sondern gleichzeitig auch jedem Spieler auf dem Feld das Gefühl zu vermitteln, er müsse jeden Zweikampf wie den letzten, entscheidenden führen. Diese Herangehensweise brachte Australien die Siege gegen Tunesien und Dänemark. Wegen der Idealumsetzung einfacher Vorgaben steht dieses Team im Achtelfinale. Und wer weiß, vielleicht erwischt die Arnold-Elf gegen Argentinien ja ausgerechnet das Spiel ihres Lebens.

(Photo by Claudio Villa/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


Ähnliche Artikel