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A La Liga | El Clasico als Fingerzeig? „La Real“ im Aufwind, Atletico und die Glaubensfrage – Die Brennpunkte

18. Oktober 2022 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Spotlight | Es gibt mal wieder einiges zu besprechen in La Liga. Hauptthema ist natürlich der Clasico vom Wochenende, aber auch auf Atletico und die Siegesserie von Real Sociedad werfen wir einen Blick.

In „A La Liga“ thematisiert 90PLUS-Redakteur Michael Bojkov die Brennpunkte des spanischen Fußballs. Das neue Format erscheint im zweiwöchigen Rhythmus.

El Clasico legt Barças Probleme offen

Entgegen vieler Clasicos aus der jüngeren Vergangenheit war es diesmal die Heimmannschaft, die den Ton angab. Real Madrid war über weite Strecken der Partie das dominante Team, und nicht nur das: Sie spielten ihren Erzrivalen phasenweise sogar her. Die Königlichen hatten die volle Kontrolle über Ball und Gegner, beeindruckten durch spielerische Leichtigkeit, waren gewohnt abgezockt vor dem gegnerischen Tor. Alles Attribute, die dem FC Barcelona an diesem Sonntagnachmittag nahezu gänzlich fehlten. 

Ein Erklärungsansatz dafür ist, dass die in weiten Teilen neu formierte Mannschaft noch Zeit braucht. Zwar sah die offensive Spielanlage zu Saisonbeginn schon recht ausgereift aus, doch zeigten die letzten Spiele, dass einige Rädchen noch nicht perfekt ineinandergreifen. Damit einher geht auch die Frage, wer in schwierigen Spielen wie diesem das Zepter an sich reißt und die Mannschaft nach vorne pushen kann.

Sergio Busquets (34) ist im Moment der einzige Führungsspieler unter den Startern, der schon länger im Verein ist. Ein Lautsprecher, der seine Kollegen auf dem Feld nach vorne treibt, ist der Routinier aber nicht. Vorne wäre da Robert Lewandowski (34), der seit nunmehr fast einem Jahrzehnt auf dem höchsten internationalen Level spielt. Ist der Pole aber selbst nicht im Spiel, wie im Bernabeu der Fall gewesen, ist auch er kaum dazu in der Lage, seine Mitspieler emotional mitzureißen.



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Ein weiteres Problem, das Barça in dieser Saison nicht zum ersten Mal in einem wichtigen Spiel zum Verhängnis wurde: Unzulänglichkeiten in der Defensive. Mal sind es einfachste Einladungen wie beim 3:3 gegen Inter, mal die fehlende Grundintensität, die, wie es gegen Real der Fall war, schnell zu einer lethargische Passivität mutiert und den Gegner einfachste Tore schießen lässt.

Hier sei natürlich erwähnt, dass sich die Defensive im Sommer praktisch neu aufgestellt hat und zudem durch Ausfälle lädiert ist. So fehlen den Katalanen mit Andreas Christensen (26) und Ronald Araujo (23) aktuell mit die wichtigsten Verteidiger, Jules Kounde (23) gab im Clasico sein Comeback nach mehrwöchiger Verletzung. Dass die Hintermannschaft gegen stärkere Gegner nicht immer sattelfest ist, ist also ein Stück weit auch personellen Wechseln und Ausfällen geschuldet. 

Anderes Thema: Vorne kreiert man zwar Torchancen, lässt aber noch zu häufig die nötige Effizienz vermissen. Nach Expected Goals hätte man im Clasico 2,8 Tore erzielen müssen (fbref.com), man schoss aber nur eins. Auch im Champions-League-Spiel gegen die Bayern hätte man zur Halbzeit schon mindestens 2:0 führen können, verlor am Ende 0:2. 

Das alles sind Unzulänglichkeiten, die gegen schwächere Teams in La Liga selten ins Gewicht fallen. Schließlich gewann man vor dem Clasico auch ganze sechs Spiele in Folge zu Null. Problematisch wird es aber, wenn es gegen die Topteams geht. Da wirkt gerade der Erzrivale zum aktuellen Zeitpunkt reifer und abgezockter.

In Barcelona hat man sich den Gewinn der spanischen Meisterschaft als Ziel auf die Stirn geschrieben und wird daran natürlich auch von außen gemessen. Dennoch muss man im Hinterkopf behalten, dass sich „Blaugrana“ noch immer in einem Prozess befindet, der seine Zeit braucht. Nach der 1:3-Schlappe im Bernabeu wäre das vielleicht der gerechtere Maßstab.

Real Sociedad: Wie nachhaltig ist die Siegesserie?

Real Sociedad ist das Team der Stunde in La Liga. Vier Siege am Stück feierten die Basken zuletzt, wettbewerbsübergreifend sind es gar deren sieben. Das Zwischenresultat: Platz fünf, punktgleich mit den besser platzierten Betis und Atletico. Die Mannschaft von Trainer Imanol Alguacil (51) kommt fast schon naturgemäß über einen kontrollierten Ansatz. Wenn „La Real“ eines mag, dann ist es der Ball. Mit einem durchschnittlichen Ballbesitzwert von 54 Prozent liegt man ligaweit auf Platz vier.

Wird die Kugel verloren, sind die Basken auf eine schnelle Rückeroberung bedacht. Wie die Grafik veranschaulicht (unten links), finden lediglich 55 Prozent der Defensivaktionen im eigenen Drittel statt. Das ist hinter Real und Barça der drittniedrigste Wert in La Liga. Heißt im Umkehrschluss: Die Bälle werden vermehrt in höheren Zonen erobert. In den Kategorien Tacklings (21,2 pro Spiel) und Fouls (18) ist man sogar Spitzenreiter in La Liga, was das arbeitsaufwendige Spiel der Baken gegen den Ball unterstreicht. Bemerkenswert ist, dass all das ohne Mikel Oyarzabal (25), dem eigentlichen Topstar der Mannschaft geschieht. Der Linksaußen laboriert immer noch an einem Kreuzbandriss, den er sich vor knapp einem halben Jahr zugezogen hat.

Dafür haben die Sommerneuzugänge voll eingeschlagen. Mit Brais Mendez (25, Celta Vigo) hat man ein kreatives Element für das rechte offensive Mittelfeld geholt. Neben einer Vorlage hat der vierfache spanische Nationalspieler schon ganze fünfmal selbst getroffen, was eine bemerkenswert gute Quote für einen Spieler seines Formats ist. Der zweitbeste Torschütze ist mit Umar Sadiq (25, UD Almeria) ebenfalls ein Neuzugang, auch Takefusa Kubo (21, Real Madrid) hat sich mit überzeugenden Vorstellungen direkt zum Stammspieler gemausert, agiert zumeist als hängende Spitze.

Das Grundgerüst der Mannschaft bilden nach wie vor Martin Zubimendi (23) und Mikel Merino (26). Während Zubimendi aus einer etwas tieferen Sechserposition das Spiel aufbaut und nicht zu unrecht ins Blickfeld von Barça geraten ist, setzt Merino die Offensivspieler in Szene. Mit vier Torvorlagen ist der Ex-Dortmunder Spitzenreiter in La Liga.

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(Photo by ANDER GILLENEA/AFP via Getty Images)

Dass es momentan so gut läuft, kommt im Übrigen nicht einmal überraschend. In San Sebastian wird seit Jahren gute Arbeit auf wie neben dem Platz geleistet und Serien wie die aktuelle gab es auch in den vergangene Spielzeiten. Das Problem: So sehr der häufig als „Hipster von La Liga“ umschriebene Europa-League-Teilnehmer mit ansehnlichem Offensivfußball begeistert, leidet die Mannschaft zugleich seit Jahren an einer Krankheit namens Konstanz.

Die große Frage wird sein, ob sie es in dieser Spielzeit endlich schafft, ihr individuelles wie mannschaftstaktisches Können nachhaltig statt nur vereinzelt unter Beweis zu stellen. Wenn ja, hat sie die Chance, ein Regal höher zu greifen und Richtung Champions League zu schielen. Anderenfalls geht mit fortschreitendem Saisonverlauf wieder die spielerische Leichtigkeit verloren, sodass man sich auf den letzten Metern einen Platz in der Europa League erkämpfen muss. Es steckt also auch ein bisschen Wundertüte in Real Sociedad.

Atletico: Platz drei – und dennoch Fragezeichen

Drei Siege am Stück und Platz drei in La Liga – eigentlich scheint die Welt in Ordnung unter den Dächern des Metropolitano. Zumindest ergebnistechnisch ist das in der Liga auch gut. Die Leistungen auf dem Platz schreien allerdings geradezu nach Besserung. So waren die jüngsten Erfolge gegen Girona (2:1) und in Bilbao (1:0) mit harter Arbeit und gerade im San Mames auch mit einer gehörigen Portion Glück verbunden.

Vor allem offensiv präsentierte man sich wenig ideenreich und zuweilen sehr behäbig. Dass die „Colchoneros“ in neun Ligapartien überhaupt schon auf 15 Tore kommen, haben sie auch ihrer Effizienz zu verdanken. So schaffte man es am Wochenende in Bilbao, aus 0,3 expected Goals einen Treffer zu erzielen. Dass es mit weniger Effizienz vor des Gegners Tor auch mal weniger gut laufen kann, zeigen die Resultate in der Champions League, wo man gegen Außenseiter Brügge zweimal scheiterte (0:1, 0:0) und auch in Leverkusen verlor, ohne selbst zu treffen (0:2).

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(Photo by PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP via Getty Images)

Die Art und Weise, wie man spielt, dürfte zwar nach wie vor dem Gusto Diego Simeones (52) entsprechen, doch muss man sich bei Atletico mit Blick auf das vorhandene Spielermaterial in der Offensive fragen, ob das aktuell Dargebotene wirklich das ist, was man sehen will. Immerhin hat man mit unter anderem Rodrigo de Paul (28), Matheus Cunha (23) und nicht zuletzt Joao Felix (22) einige kreative und technisch starke Spieler in den eigenen Reihen, die der Offensive zweifelsohne mehr Leben einhauchen können, wenn sie denn richtig eingebunden würden. Stattdessen verschwendet man Potenzial. So ist es auch kaum verwunderlich, dass Felix Gerüchten zufolge einen Abgang in Erwägung zieht. 

Ist der Weg der richtige? Diese Grundsatzfrage muss sich der Verein stellen. Dabei geht es nicht zwingend um die Daseinsberechtigung Simeones, doch muss sich auch der Argentinier fragen, ob er nicht mehr aus diesem Kader herausholen kann. Die Mannschaft ist qualitativ wie quantitativ gut bestückt und spielt dafür gerade in der Offensive deutlich unter ihren Möglichkeiten. Dass man auch gegen kleinere Mannschaften in der Liga scheitert, wie vergangene Spielzeit zu genüge der Fall gewesen, ist mit dieser Spielweise wohl eine Frage der Zeit. Und viele Punktverluste darf man sich mit Blick auf die starke Konkurrenz um die Champions-League-Plätze nicht erlauben.

(Photo by David Ramos/Getty Images)

Michael Bojkov

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 bei 90PLUS und vorwiegend in Spanien unterwegs.


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